Drei Jahrhunderte zuviel?Eine Kritik an den chronologischen Voraussetzungender These von den 'fiktiven Jahrhunderten' von Heribert Illigvon Jörg DendlLetztes Update: 25.01.2020 |
Der Autor Heribert Illig
stellt in seinem Buch „Das
erfundene Mittelalter“ (Econ 1996) eine
These auf, die bei ihrer Richtigkeit
nicht nur unser Geschichtsbild radikal umwerfen würde und neue
Erklärungen für
die historischen Abläufe im Mittelalter notwendig machen
würde, sondern auch
weittragende Konsequenzen für unsere Auffassung von der Zeit
in der wir leben
mit sich bringen würde. Kurz gesagt, Illig vertritt die
Auffassung, in der
mittelalterlichen Geschichte Europas seien 297 Jahre zu viel
gezählt worden,
dieser ‘künstliche’ Zeitraum reiche von
September 614 bis August 911. Diese
Zeit sei mit der fiktiven Geschichte des Karolingerreiches
aufgefüllt worden.
Diesen Umstand versucht Illig anhand zahlreicher von ihm aufgezeigter
Ungereimtheiten in den auf diesen Zeitraum zurückgehenden
schriftlichen, aber
auch archäologischen, architektonischen und kunsthistorischen
Quellen zu
belegen. Als Urgrund und Angelpunkt dieser These von den
‘fiktiven
Jahrhunderten’ wird aber von Illig die von Papst Gregor XIII.
im Jahr 1582
veranlaßte Kalenderreform herangezogen. Er vertritt die
Meinung, die damals
vorgenommene Korrektur des Kalenders hätte statt 10 Tagen
ganze 13 Tage
betragen müssen, um den seit der Einführung des
Julianischen Kalenders im Jahr
46 v. Chr. verstrichenen Jahren und der damit verbundenen Verschiebung
des
Frühlingsäquinoktiums wirklich Rechnung zu tragen.
Hinter den drei Tagen, die
nach Illigs Ansicht in der gregorianischen Korrektur fehlen,
würden sich die
drei Jahrhunderte verbergen, die nur in den Quellen, aber nicht in der
Wirklichkeit existieren.
Da die These
von der manipulativen Kalenderkorrektur die Basis für Illigs
Thesengebäude von
den ‘fiktiven Jahrhunderten’ bildet, soll im
folgenden untersucht werden, ob seine
diesbezüglichen Überlegungen tragfähig sind. Die Akten des Konzils von Nikaia
sind nur
unvollständig überliefert, was in Hinsicht auf den
Termin des Osterfestes
verhandelt wurde, ist daher nur aus indirekten Quellen zu erfahren.Dies
sind
ein Brief des Konzils an die Bischöfe in Ägypten und
Libyen und das in der ‘Vita
Constantini’ des Eusebius überlieferte
Zirkularschreiben des Kaisers Konstantin
(Ks. 306-337). Den Bischöfen wurde mitgeteilt, daß
auch die Christen in den
orientalischen Gemeinden, die bis dahin offensichtlich einen
Sonderbrauch
pflegten, „von nun an das Osterfest mit den Römern,
mit uns allen feiern
werden, die von alters her mit uns darin
übereinstimmten.“, wie es von den
Kirchenhistorikern Sokrates und Theodoret zitiert wird. Der Kaiser
unterrichtete
in seinem Schreiben alle die vom Ergebnis der Verhandlungen in Nikaia,
die
nicht an dem Treffen teilgenommen hatten. Zunächst
hält das kaiserliche
Schreiben, dessen Charakter als Synodaldekret unzweifelhaft ist, fest,
daß von
nun an alle Christen das Osterfest an einem Tag feiern werden. Es soll
„...
nach ein und derselben Ordnung und nach einer sicheren Berechung ohne
Abweichung ...“ begangen werden. Die Feier des Festes durch
alle Christen an
einem Tag sei wichtig, „...
denn unser
Erlöser hat uns nur einen Gedächtnistag unserer
Befreiung, den seines
hocheiligen Leidens hinterlassen, und gewollt, daß nur eine
katholische Kirche
sei, so daß, wenn davon einzelne Glieder auch in noch so
vielen und weit
entlegenen Ländern zerstreut sind, sie dennoch von einem
Geiste, nämlich durch
den göttlichen Willen, belebt werden.“ Beide
Schreiben treffen keine weiteren
Verfügungen, es ist also davon auszugehen, daß es
tatsächlich keine Absprachen
gab. So gab es auch nach dem Konzil von Nikaia weiterhin Unterschiede
in der
Terminierung des Osterfestes zwischen der Kirche Roms und Alexandrias.
In Rom
konnte der Ostertermin zwischen dem 25. März und dem 21. April
liegen, während
die Alexandriner den Zeitraum vom 22. März bis zum 25. April
zuließen. Hier ist zunächst
festzuhalten, daß vom Konzil von
Nikaia tatsächlich keine
Vorschriften erlassen wurden, wie der Ostertermin zu
berechnen sei, oder
an welchem Tag das Frühlingsäquinoktium anzusetzen sei.
Der
Kaiserbrief zeigt das Bestreben, eine einheitliche Formel für
die
Ostertterminberechnung zu finden, die ein eindeutiges Ergebnis zeitigt.
Wenn
Illig nun unterstellt, es habe zur Zeit des Konzils von Nikaia keinen
genauen
Termin für das Frühlingsäquinoktium gegeben
und östliche wie westliche
Christenheit „...beachteten nicht die tatsächliche
Himmelssituation ...“, wie
er schreibt, dann ist dies schlicht falsch. Ginzel hält im
dritten Band seines
Handbuchs der Chronologie fest: „Der richtige astronomische
Eintritt des
Frühlingsäquinoktiums war im Jahr 325 am 20.
März 12h 44m m.Zt. Rom, im Jahre
1582 am 11. März 0h 48m m.Zt. Rom (den Tag von Mitternacht zu
Mitternacht
gerechnet).“ Damit steht fest, daß der 21.
März mit einer Ungenauigkeit von
wenigen Stunden der tatsächliche Termin des
Frühlingsäquinoktiums im Jahr 325
n. Chr. war. Nach dem hier gesagten
muß Illig in einem Punkt
Recht gegeben werden, nämlich bei der Frage, ob in Nikaia die
bekannte Regelung
der Berechnung des Ostertermins festgelegt wurde. Auf dem Konzil wurde
keine
Absprache darüber getroffen. Doch ist zu fragen, ob diese
für Illig positiv
beantwortete Frage überhaupt eine Bedeutung für die
Kalenderkorrektur des
Jahres 1582 hatte. Entscheidend ist, was die Mitglieder der von Papst
Gregor
XIII. berufenen Kommission zu ihrer Zeit für richtig hielten.
Allein danach
haben sie ihre Berechnungen angestellt und hat Gregor XIII. auf ihre
Empfehlung
hin seine Anweisung zur Kalenderreform gegeben. Und so heißt
es in § 7 der Bulle
„Inter gravissimas“, mit der die Kalenderreform
bekanntgemacht wurde: „Quo
igitur vernum aequinoctium quod ad a Patribus Concilii Nicaeni ad 12.
Kalend.
Aprilis fuit constitutum,...“ Es steht also fest,
daß man bei der Durchführung
der Kalenderrefrom in dem festen Glauben handelte, es habe eine
entsprechende
Festlegung durch das Konzil von Nikaia gegeben. Und allein diesen
Zustand
wollten die Mitglieder der päpstlichen Kommission
wiederherstellen. Richtig
ist, daß diese Festlegung erst in den auf Nikaia folgenden
Jahrhunderten
entwickelt wurde. Dies geschah in mehreren Schritten, von denen nur die
entscheidenden genannt werden sollen. Ein erster wichtiger Beitrag zu
dieser Entwicklung waren
die ‘Apostolischen Konstitutionen’, die im 5.
Jahrhundert in Syrien oder
Palästina entstanden. Darin heißt es: „Ihr
aber beobachtet genau das
Frühlingsäquinoktium, welches am 22. des
zwölften Monats, d.i. des Dystrus
eintritt, indem ihr bis zum 21. des Monats wartet, damit nicht der 14.
Tag des
Monats in eine andere Woche falle und wir aus Unkenntnis zweimal im
Jahr Passah
halten oder die Auferstehung unseres Herrn Jesu an einem anderen Tage
als am
Tag des Herrn begehen.“ Erst hiermit war der Termin des
Frühlingsäquinoktiums
definiert und wurde seither auch beibehalten. In der Berechnung des Ostertermins
gab es lange Zeit
eine Konkurrenz zwischen den Rechenmethoden der alexandrinischen
Gelehrten und
der in Westeuropa tätigen Computisten. Die
schließliche Übernahme der
alexandrinischen Berechnungsweise in der ganzen Kirche beruhte auf dem
Umstand,
daß die Methoden der westlichen Computisten nie ausgereicht
hatten, eine
einwandfreie Terminierung des Osterfestes zu erreichen. Erst mit der
Ostertafel
des Victorius (457) war es geschafft, wenigstens einen
Großteil der Osterfeste
gleichzeitig mit den Alexandrinern zu feiern. Den endgültigen
Übergang zur alexandrinischen
Osterterminberechnung vollzog Dionysius Exiguus, dem die Christenheit
auch die
Jahreszählung ab Christi Geburt verdankt. Im Jahr 525
erstellte er eine
Ostertafel, wobei er sich auf das Konzil von Nikaia berief. Dort, so
behauptete
er, sei ein 19jähriger Zyklus für die Osterbestimmung
vorgeschrieben worden. Weiterhin
sei der 21. März als Tag des
Frühlingsäquinoktiums festgelegt worden. Darauf
baute er seine Regeln der Berechnung des Ostertermins auf. Die
Behauptung des
Dionysius Exiguus hatte durchschlagenden Erfolg. Dem später
hochgeachteten Wort
dieses Gelehrten setzte niemand mehr einen Zweifel entgegen, und so
wurde seine
Behauptung bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts für wahr
gehalten, wo sie
endlich von kritischen Wissenschaftlern ad
absurdum geführt werden konnte. Doch den
Kalenderreformern des 16.
Jahrhunderts galt diese Behauptung als Wahrheit, weshalb sie sich auch
darauf
beriefen. Und so zerbricht auch die Behauptung Illigs, Papst Gregor
XIII. hätte
es besser wissen müssen. Papst
Gregor
XIII. und die Reform des Julianischen Kalenders Jean Sylvain Bailly beschreibt den Gnomon sehr detailliert: "In der Zeit, als man sich in Italien mit der Reformation des Kalenders beschäfftigte, kam Ignatius Dantes aus Perusa, Professor der Mathematik zu Bologna, auf die Idee, sich der Meridian-Mauer der S. Petroniuskirche dieser Stadt zu bedienen, umd daraus einen großen Gnomon zu machen. Er ließ an das obere Ende der Mauer ein mit einem Loche versehendes Blech anbringen, durch welches die Sonnenstrahlen hindurchgingen, auf den Boden der Kirche fielen und darauf das Bild dieses Gestirns, die Veränderungen seiner Höhen, den Augenblick der Nachtgleichen und Solstitien bezeichneten. Dieser Gnomon hat sechzig Fuß Höhe; er wurde im Monat April 1576 gemacht a). Man bewies daselbst die Veränderung der Nachtgleiche, womit man sich damals beschäftigte. Die Beschreibung des Gnomons findet sich in zwei Werken, das eine von H. Cassini, das andre von H. Manfredi, nebst der großen Anzahl von Beobachtungen, die daselbst sind angestellt worden. H. de la Lande hat in seiner Reise nach Italien davon geredet." [Jean Sylvain Bailly, Vom Untergange der alexandrinischen Schule bis Kepler, Leizig 1797, S. 368; a) Weidler, p. 399] In seinem Werk "La Meridiana del Tempio di S. Petronio" (Bologna 1695) über den Gnomon gab Giovanni Domenico Cassini auch eine Abbildung des Gnomon wieder: https://amshistorica.unibo.it/14#. Auch Eustachius Manfredi beschreibt den Gnomon in seinem Werk "De Gnonome Meridiano Bononiensi ad Divi Petronii" (Bologna 1736). Der Gnomon existiert noch heute. Er ist mit 66,80 Metern die größte Mittellinie der Welt. [St. Petronius] Die
Kommission prüfte nun den Vorschlag Lilios, hielt ihn
für annehmbar, holte aber
noch die Expertisen zahlreicher europäischer Gelehrter ein.
Auf der Grundlage
der eingegangenen Gutachten wurde der Entwurf überarbeitet. Am
14. September
1580 war die Arbeit der Kommission beendet und erstattete dem Papst
Bericht.
Das Ergebnis der Kommissionsarbeit floß ein in die Bulle
„Inter gravissimas“,
die Gregor XIII. am 24. Februar 1582 unterzeichnete, und mit der die
Kalenderkorrektur verkündet wurde. Kurz gefasst
verkündete die Bulle, dass die 10
Tage zwischen dem 4. und dem 15. Oktober 1582 auszulassen seien und das
bürgerliche Jahr von da an um 11 Minuten verkürzt
werde, indem von nun an in
den durch 400 nicht teilbaren Jahrhundertjahren die Schalttage
ausfallen
sollen. Wie oben schon festgehalten, beruft sich die Bulle auf die
angeblich
auf dem Konzil von Nikaia festgelegten Regeln. Tatsächlich
stellte die Reform
auf diese Weise für den 21. März 1583 den Stand der
Sonne am 21. März 325
wieder her. Nie hatte bei dieser Reform die Absicht bestanden, den
Sonnenstand
vom 21. März 46 v.Chr. wieder zu erreichen. Die Richtigkeit
dieser Ausführungen
wird bestätigt durch die schon oben zitierte Angabe im
Handbuch Ginzels und die
Tatsache der im 16. Jahrhundert erfolgten Kontrolle der Abweichung
durch eine
astronomische Beobachtung. Damit
steht unzweifelhaft fest, daß Illigs Annahme,
Papst Gregors XIII. Korrekur hätte 13 Tage betragen
müssen, falsch ist. Somit
hat es auch die von ihm für fiktiv gehaltenen drei
Jahrhunderte tatsächlich
gegeben. Die These vom „erfundenen Mittelalter“ ist
damit hinfällig. Literatur: Bailly, Jean Sylvain, Geschichte der neuern Astronomie, 2. Bd.: Vom Untergange der alexandrinischen Schule bis Kepler, Leipzig 1797 Fichtinger, Christian, Lexikon der
Heiligen und Päpste, Gütersloh: Prisma 1980 Ginzel, Handbuch der Chronologie, Bd.III: VHGG 1914 Illig, Heribert, Das erfundene
Mittelalter, Düsseldorf: Econ 21997 Pastor, Ludwig Freihr. von,
Geschichte der Päpste, Bd. IX, Freiburg i.Br.:Herder 1925 Schmid, Joseph, Die
Osterfestberechnung in der abendländischen Kirche
(Strassburger Theologische
Studien, Bd. 9), Freiburg i.Br.: Herder 1907 Im Jahr 1998 erschien in der "Zeitschrift für Anomalistik" zum gleichen Thema der Aufsatz von Jörg Dendl. |
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