Die Archäologie Jerusalems

von Jörg Dendl

Update: 05. November 2009

Jerusalem ist die heilige Stadt dreier Weltreligionen, des Judentums, des Christentums und des Islam. Jede Kultur, die sich in dieser Stadt niederließ und sie beherrschte, hinterließ ihre Spuren an diesem Ort. Die überschaubare Geschichte Jerusalems reicht bis in das 14. Jhd. v. Chr. hinab. Zu dieser Zeit erfahren wir erstmals aus Tontafeldokumenten von der Existenz dieser Stadt. Für einige Jahrhunderte schweigen dann die historischen Dokumente, um schließlich ab dem Jahr 1000 v. Chr. bis heute nahezu lückenlos übre die Geschichte der Stadt zu berichten. Doch trotzdem, obwohl die geschriebene GeschichteJerusalems, insbesondere dem Bibelkenner, anscheinend genau bekannt ist, sind viele Details bis heute nicht archäologisch abgesichert. Zahlreiche Bauten, die in den historischen Texten von der alttestamentlichen Zeit bis in das Mittelalter hinein beschrieben werden, können nicht genau lokalisiert und identifiziert werden. Hier soll die Stadt Jerusalem als archäologische Stätte vorgestellt werden, was in Anbetracht des zu umfassenden Zeitraums und der an vielen Stellen der Stadt aufzufindenden Reste nur im Überblick geschehen kann. Es wird sich zeigem, dass diese Stadt an den archäologisch Interessierten höhere Ansprüche stellt, als leichter zu überschauende Stätten, aber dennoch mit einigen interessanten Details aufwarten kann, die die Mühe wert sind.

Die Gründe für diesen Zustand sind naheliegend und entspringen in erster Linie der Tatsache, dass das Stadtgebiet seit nahezu 4000 Jahren ununterbrochen bewohnt war. Die Schwierigkeiten, die sich dem Archäologen entgegensetzen, wenn eine Stadt nicht verlassen wurde, zeigen sich hier ebenso wie in Rom oder Athen. Es ist immer schwierig, Möglichkeiten für eine Grabung zu finden. So werden beim Ausheben der Fundamente bei Hausbauten auch in Jerusalem immer wieder archäologisch wertvolle Reste gefunden. Leider muß die Archäologie immer wieder gegen den Unwillen der Bauherren ankämpfen, denen es oft genug natürlich nicht recht ist, wenn ihre Baugrube zur Ausgrabungsstätte werden soll. In Jerusalem kommt zu diesen Schwierigkeiten, die sich oft genug mit Geld dann doch noch lösen lassen, noch die religiösen Auffassungen der Betroffenen. So ist es praktisch unmöglich, genaueres über die Bauten auf dem Berg Moriah zu erfahren, wo einst der von König Salomo errichtete Tempel stand.  Heutzutage befindet sich auf diesem Berg der von dem Kalifen Abd el-Malik erbaute Felsendom und das gesamte Areal des Tempelberges gilt als islamisches Heiligtum. Aber ebenso überdecken die zahlreichen Kirchen der Stadt Bauten aus dem Altertum. Daher ist es nur selten möglich, an den Heiligtümern der verschiedenen Religionen Ausgrabungen vorzunehmen. Doch auch dies ist nicht das letzte Problem der Archäologie Jerusalems. Da die Stadt praktisch ununterbrochen bewohnt war, konnte sich keine Stratigraphie entwickeln, wie an anderen Orten, wo sich durch verschiedene aufeinander folgende Besiedlungen die "Tells" entwickelten und es heute zulassen, Schicht für Schicht in die Vergangenheit vorzudringen. In einer ständig bewohnten Stadt wurden häufiger alte Gebäude abgerissen, um neuen Platz zu machen. Und sowurden die neuen Gebäude auf demselben Niveau errichtet wie die alten. Daher stellt sich den Archäologen die schwere Aufgabe, die verschiedenen Bauepochen durch andere Methoden als die der Stratigraphie ihrem historischen Kontext zuzuweisen. Aber trotz dieser vielfältigen Schwierigkeiten ist es im begrenzten Rahmen doch immer wieder möglich gewesen, Ausgrabungen vorzunehmen und die ungeschriebene Geschichte der Stadt zu entdecken und die geschriebene Geschichte der Heiligen Stadt zu erhellen.

Die Geschichte des vorisraelitischen Jerusalem aufzudekcen, ist ein äußerst interessanter Punkt. Wie oben gesagt, bestand die Stadt schon einige Jahrhunderte bevor David sie um das Jahr 1000 v. Chr. eroberte. Dabei rückte für die älteste Besiedlung des Geländes der im südöstlichen Teil der heutigen Stadt Jerusalem liegenden Zionshügel ind as Blickfeld der Forscher. Zahlreiche Suchgräben wurden in diesen Hügel gegraben, um seine früheste Geschichte aufzudecken. Dabei fand man in Gräbern auf der Westseite des Hügels Keramik aus dem 3. Jahrtausend v. Chr., womit die erste Besiedlung in diese Zeit datiert werden kann. Der Nukleus, aus dem das spätere Jerusalem hervorging, war eine Siedlung der Bronze- und Eisenzeit auf dem Zionshügel. Dieser Hügel wurde an verschiedenen Stellen von den Archäologen angeschnitten, um die frühen Besiedlungsspuren zu erforschen. Nach den Ergebnissen der Grabungen wird angenommen, dass sich die Besiedlung des Jebusitisch-israelitischen Jerusalem auf der Ostseite des Zionshügels hinzog. (Kenyon, S. 93) Um auch in Kriegszeiten Zugang zu dem lebenswichtigen Wasser der Gihonquelle zu haben, zog sich die Siedlung nach Osten hin und umschloß die Quelle in ihrem Mauerring. (Kenyon, S. 94) Reste von Bauten aus dieser Zeit fanden sich nur an den Seiten des Hügels, wo die Bewohner gezwungen waren, Terrassen anzulegen, um ihre Häuser auf waagerechtem Boden zu errichten. Auf der Hügelkuppe wurden alle Bauten durch spätere Neubauten zerstört. Der Zugang zur Gihonquelle sollte die Jebusiter ihre Stadt kosten, als sie von David belagert wurde. Zunächst eroberte David die Festung Zion. Dann gelang es Joab, der dafür von David zum Hauptmann befördert wurde, durch den Kanal in die Stadt zu gelangen. Durch diese List eroberte David die Stadt. (1 Sam 5,8; 1Chr 11,6)

Bei der Anlage eins Suchgrabens von der jebusitischen Stadtmauer zur Gihonquelle wurden Mauerreste gefunden, die zunächst dem jebusitischen Jerusalem des 2. Jahrtausends v. Chr. zugewiesen wurden. Später mußten sie aber anhand der darunter gefundenen Keramik in das 2. Jhd. v. Chr. datiert werden. Bei der Weiterführung des Grabens stießen die Forscher aber auch auf Gebäudereste aus der Eisen I- und Eisen-II-Zeit. Als man auf eine größere Mauer stieß, war die Stadtmauer der von David eroberten jebusitischen Stadt gefunden. Die auf dem Zionshügel gelegene Stadt war von Norden und Süden mit einer Mauer umgeben. An der Nordfront des Zionshügels fanden sich auch Spuren der Besiedlung aus der Zeit der Eroberung durch David. Er begann damit, die eroberte Stadt als seine Residenz auszubauen. Und auf dem Berg Moriah wollte er den Tempel seines Gottes JHWH zu errichten. Doch David starb, bevor er sein Vorhaben ausführen konnte. Von den davidischen Bauten kann nichts eindeutig identifiziert werden. David erweiterte lediglich das jebusitische Stadtgebiet ein wenig und erneuerte die schon vorhandenen Terrassen. Die einzige Struktur, bei der mit größerer Sicherheit angenommen werden kann, dass sie auf David zurückgeht, ist eine "Millo" genannte Aufschüttung, die auch in der Bibel erwähnt wird. (2Sam 5,9; 2Kön 12,21) Diese Aufschüttung wird von den Archäologen auf der Ostseite des Hügels vermutet.. (Kenyon, S. 100)

König Salomo muß als einer der größten Bauherren Jerusalems gelten, denn unter seiner Herrschaft wurde die Stadt erst wirklich zu einer königlichen Residenz ausgebaut. Aber trotzdem er nach den Berichten der Bibel die bedeutendsten Bauten der Stadt, den JHWH-Tempel und seinen Palast, errichtete, ist von seinen Werken keine archäologisch nachweisbare Spur gebelieben. Die vielen Bauten, die seinem Tempel auf dem Berg Moriah folgten, haben jegliche Spur dieses Baus getilgt. Sämtliche Strukturen, denen vor allem im Mittelalter die Bezeichnung "salomonisch" beigelegt wurden, stammen aus späterer Zeit. So sind die "Ställe Salomos" am Südostrand des Tempelberges Konstruktionen aus der Zeit des Königs Herodes. Frühere Vermutungen, die Fundamente der Umfassungsmauer des Tempelplatzes seien salomonisch, wurde durch nachfolgende Untersuchungen widerlegt, die sie ebenfalls der herodianischen Zeit zuwiesen. Als Salomo starb, zerfiel das vereinigte Königreich in die beiden Teilreiche Israel im Norden und Juda im Süden. Jerusalem blieb die Hauptstadt Judas. Doch auch die folgende Zeit kann nicht anhand archäologischer Spuren dokumentiert werden. Einzelne Erweiterungen der Stadtmauern und Umbauten innerhalb der Stadt wird es sicher gegeben haben, aber es haben sich wiederum keine deutbaren Spuren erhalten, die eindutig bestimmten Bauherren oder Zeitabschnitten zuzuordnen sind. Lediglich einige Bauten konnten anhand der aufgefundenen Keramik allgemein der Zeit der zwei Königreiche zugewiesen werden. Im 7. Jhd. v. Chr. wurde auf die in der Mittelbronzezeit errichtete Mauer am Zionshügel eine israelitische Mauer aufgesetzt. Es wird vermutet, dass diese Instandsetzung der Verteidigungsanlagen mit dem Verfall des Assyrischen Reiches zusammenfielen, als Juda auf politische Unabhängigkeit hoffte. (Bardtke, S. 257) Eines der interessantesten Ergebnisse der Archäologie in Jerusalem zeigte wohl mit Sicherheit die Erforschung des Siloah-Tunnels.Dieser Tunnel wurde nach den Angaben der Bibel zur Zeit des Königs Hiskia angelegt, um die Stadt mit Wasser zu versorgen. (2 Kön 20,20; 2Chr 32,30) Dieser Kanal ist 520 Meter lang und führt das Wasser der Gihonquelle in die Stadt. Der wichtigste Fund war bei der Erforschung dieses Kanals aber eine Inschrift, die von der Vollendung des Tunnels berichtet. Leider stellt die Inschrift keinen direkten Bezug zu den Zeitumständen her, sondern berichtet nur sachlich über den Durchbruch. (Bardtke, S. 68-70) Eine auf dem Zionshügel gefundene Brandschicht bestätigt die historischen Berichte über die Zerstörung der Stadt durch König Nebukadnezar im Jahr 587 v. Chr. (2Kön 25, 1-21; Jer 52; 2 Chr 36, 11-19)

Erst mit König Herodes beginnt in Jerusalem die Zeit der historisch und archäologisch faßbaren Bauten. Herodes ließ den Tempel völlig umbauen und erweiterte dabei auch den Tempelberg. Dazu mußten Umfassungsmauern von gewaltiger Größe errichtet werden und ebensolche Unterkonstruktionen, die die Gebäude trugen. Dies war insbesondere am Südrand des Tempelberges der Fall. Bis heute sind die Fundamente und die unteren Reihen der Steine der Kalagemauer aus der Zeit des Herodes. Aus dieser Zeit sidn auch einige auffällige Grabbauten erhalten geblieben, dje aber mehr nach üebrlieferten Traditionen einzelnen Königen als Gräber zugewiesen werden, denn nach tatsächlichen Kenntnissen. Am Fuß des Ölbergs gibt es eine Reihe von aus dem Felsen herausgearbeiteter Grabanlagen. Einzelne dieser Monumente, so das "Grab des Zacharias" und das "Grab des Absalom" bestehen aus massiven Felsen, die mit Säulen verziert und mit Dächern in Pyramiden- oder Kegelform bedeckt sind. Auch das Felsengrab der Königin Helena von Adiabene wurde lange Zeit als die Ruhestätte eines der judäischen Könige angesehen. Dabei handelt es sich bei den meisten dieser Grabbauten um Anlagen aus der Zeit nach dem Exil, was anhand der verwendeten Architekturelemente nachzuweisen ist. Durch solche, oft religiöse motivierten Falschzuweisungen, wurden viele archäologisch interessante Reste in Kirchen oder Moscheen aufgenommen, so dass sie einer genauen Erforschung nur schwer zugänglich sind.

Einen großen Verlust an historischer Bausubstanz folgte dem jüdischen Aufstand der Jahre 66 bis 70 gegen die römische Besetzung des Landes. Dem Feldherrn Titus gelang es erst nach einer langen und schweren Belagerung Jerusalem einzunehmen. Als die Stadt endlich fiel, geriet der Tempel in Brand und wurde vollständig zerstört. Auch hatte der Verlauf der Belagerung es mit sich gebracht, dass ganze Stadtviertel niedergemacht wurden, um Bewegungsfreiheit für die Belagerer zu gewinnen. Nach dem zweiten jüdischen Aufstand unter Bar Kochba, der im Jahr 132 von Kaiser Hadrian niedergeschlagen wurde, sollte Jerusalem eine römische Stadt werden. Den Juden wurde verboten, die Stadt zu betreten. Auf dem Tempelberg wurde nun ein Tempel des Iuppiter Capitolinus errichtet. Anstelle des alten Jerusalem wurde die Kolonie "Aelia Capitolina" eingerichtet. Das gesamte Stadtbild wurde nach den Maßgaben römischer Architektur umgestaltet. Zwei breite Straßen zerteilten die Stadt in vier Viertel. Im südwestlichen Viertel wurde ein Lager der Legio X eingerichtet, was sich anhand der dort zu findenden Ziegel mit dem Stempel dieser Legion nachweisen läßt. In der folgenden Zeit wurden verschiedene neue Bauten errichtet. So hat sich bis heute in der Kirche der Schwestern von Zion der sogenannte "Ecce-Homo-Bogen" erhalten. Die christliche Tradition erkennt in diesem Ort den Platz, an dem Pontius Pilatus den verurteilten Jesus dem Volk zeigte und die Worte "Seht, welch ein Mensch" (Ecce Homo) sprach. Dieser Torbogenrest gehört zu der östlichen Toranlage der Aelia Capitolina und wurde im Jahr 135 errichtet. So bewahren bis heute viele christliche Kirchen römische Baureste, weil diese mit der Passion Christi in Verbindung gebracht werden.

Mit dem Beginn der christlichen Ära wird die Baugeschichte Jerusalems leichter faßbar, da sich seit dieser Zeit die gebäude zum Teil  bis heute in ihrer ursprünglichen Bausubstanz erhalten haben. Das mittelalterliche Jerusalem ist daher mehr eine Aufgabe für die Kunstgeschichte als für die Archäologie.

Der Reiz des alten Jerusalem wird immer aus der Spannung zwischen den historischen Berichten und den geringen materiellen Quellen gespeist werden, wodurch die Beschäftigung mit dieser Stadt nie uninteressant werden wird. Sind die sichtbaren Reste hier auch nicht so beeindruckend wie in Rom oder Athen, so haben sie doch auch ihren ganz besonderen Stellenwert in der Geschichte der Menschheit, gerade weil an diesem Ort Dinge geschahen, die die geistige Entwicklung Europas in den letzten 2000 Jahren bis heute prägten.

Literatur:

H. Bardtke, Bibel. Spaten und Geschichte, Leipzig 1969
K. Kenyon, Digging up Jerusalem, London 1974
H.-Chr. Gf. v. Nayhauss, Heilige Stätten - Pilgerziel Jerusalem, Pforzheim 1988
H. Teifer, Israel, Zürich/München 1981

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